Stuttgart, 6. April 2021. Nach der Sitzung des Gemeinderats-Unterausschusses Mobilität am 30. März 2021 ist die Enttäuschung bei den Radverkehrsverbänden, insbesondere unter den Ehrenamtlichen, die Stuttgart als Sachkundige Einwohner*innen auf dem Weg zur Fahrradstadt beraten sollen, groß. Obwohl der Gemeinderat bereits im Februar 2019 anlässlich des Bürgerbegehrens „Radentscheid Stuttgart“ beschlossen hat, Stuttgart zur Fahrradstadt zu machen, kommt die Planung neuer Radwege und Fahrradstraßen einfach nicht voran.
Einer der Gründe besteht darin, dass sich die Stadtverwaltung auf die vom Radentscheid geforderten Qualitätsstandards für neu anzulegende Radinfrastruktur nicht einlassen möchte. Konkret geht es um die Vorgabe, Radverkehrsanlagen grundsätzlich vom Autoverkehr baulich abzutrennen. Das ist wichtig, um die Sicherheit der Radfahrenden zu gewährleisten. „Unsere Standards sind hoch, aber das gibt Stuttgart auch die Möglichkeit, zum Vorbild für andere deutsche Städte zu werden“, erklärt Thijs Lucas, Sprecher des Radentscheids und einer der Sachkundigen Einwohner*innen, die mit der Stadtverwaltung die Qualitätsstandards aushandeln.
Die Gespräche darüber laufen bereits seit 2019 – parallel soll der Ausbau der Radinfrastruktur zwar weitergehen, aber immer wieder blockiert die Unklarheit bezüglich der Qualitätsstandards auch Beschlüsse über konkrete Planungen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadtverwaltung in politischen Gremiensitzungen Zwischenstände aus den Verhandlungen fälschlich als bereits mit den Sachkundigen Einwohner*innen abgestimmt präsentiert. “Derartige Falschdarstellungen machen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit natürlich nicht leichter”, sagt Jörg Dittmann, Sachkundiger Einwohner für den VCD.
Auch im UA Mobilität am 30. März kochte die Debatte über die Standards wieder hoch – der Beschluss über die Planung des Radschnellwegs zwischen Bad Cannstatt und Fellbach an der Nürnberger Straße wurde verschoben. „Wir bemühen uns, schnellstmöglich Wege aus dieser Blockadesituation aufzuzeigen, und werden erneut das Gespräch mit Verwaltung und Gemeinderatsfraktionen über die Qualitätsstandards suchen“, betont Frank Zühlke, der für das Radforum als Sachkundiger Einwohner benannt worden ist.
Der Unterausschuss Mobilität soll laut Zielbeschluss zweimal im Jahr öffentlich zu Fahrradthemen tagen, die Sachkundigen Einwohner*innen sind dabei und haben Rederecht. Nachdem pandemiebedingt 2020 nur eine Sitzung stattfinden konnte, stellte sich am 30. März heraus, dass die Stadtverwaltung für die 9 Tagesordnungspunkte nur zwei Stunden Zeit eingeplant hatte – da viele Abgeordnete einen Anschlusstermin hatten, blieben 8 Tagesordnungspunkte unbesprochen. Die Zwischenbilanz der Sachkundigen Einwohner*innen für die Gemeinderäte musste ebenfalls vertagt werden – und das, nachdem ein sehr ausführlicher Projektbericht des Planungsbüros Drees & Sommer zwar viel Zeit gekostet, aber auch deutlich gemacht hatte, dass es sich bei den 28 seit Oktober 2020 fertiggestellten Projekten in aller Regel um Kleinstmaßnahmen wie etwa das Anbringen einer Fahrbahnmarkierung handelt.
Die Ehrenamtlichen vom Radentscheid kritisieren dieses Spiel auf Zeit. „Die Verwaltung wusste genau, dass die angesetzte Zeit nicht annähernd für die zu besprechenden Themen reichen wird. Da der nächste Ausschusstermin frühestens im Herbst stattfinden wird, fordern wir einen Ersatztermin für die nach zwei Stunden abgebrochene Sitzung“, sagt Christina Müller, die als Sachkundige Einwohnerin für den Radentscheid an der Sitzung teilgenommen hat.
Insgesamt fällt die Zwischenbilanz der Radentscheid-Vertreter*innen nach den ersten zwei Jahren gemischt aus. „Der Gemeinderat hat wiederholt deutlich gemacht, dass er mit einer starken Mehrheit hinter der Umsetzung der Radentscheidziele steht. Wir arbeiten mit der Stadtverwaltung insgesamt sehr konstruktiv zusammen und freuen uns darüber, dass ein Teil des nötigen Personals für den Ausbau der Radinfrastruktur inzwischen seine Arbeit aufgenommen hat“, resümiert Christina Müller. „Aber es könnte doch einiges schneller gehen.“ Die Sachkundigen Einwohner*innen werden auch diesbezüglich ihre Gespräche mit den Gemeinderatsfraktionen und der Verwaltung intensivieren.
Als Sachkundige Einwohner*innen benannt wurden:
Tobias Willerding und Cornelius Gruner (ADFC)
Friederike Votteler und Peter Pipiorke (Naturfreunde Radgruppe)
Meike Reisle und Christina Müller (Radentscheid)
Frank Zühlke und Walter Vogt (Radforum)
Jörg Dittmann und Ulrich Heck (VCD)
Thijs Lucas und Benjamin Feller (Zweirat)
Kontakt bei Rückfragen:
Thijs Lucas, 0176/41623382
Christina Müller, 0176/84171410
presse@radentscheid-stuttgart.de
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